Wie kann New Work unsere Gesundheit am Arbeitsplatz fördern?
Vor einigen Wochen bin ich bei LinkedIn mit Katrin Terwiel ins Gespräch gekommen. Uns verbindet eine Leidenschaft für Fragen zur Arbeitswelt der Zukunft und die Mission, den Aspekt Gesundheit noch stärker in den Werten der neuen Arbeit zu verankern. Mit Katrin habe ich darüber gesprochen, wie sie die New Work Bewegung wahrnimmt und welchen Beitrag New Work zu einem gesunden Arbeitsleben leisten kann. Gesunde Leistung bedeutet, neben intensiven Arbeitsphasen einen Ausgleich zur Regeneration zu schaffen - in diesem Guide erfährst Du mehr über die Flow-Theorie, die Dich in den Fokus bringt! Mit der Flow-Checkliste erhältst Du alle wichtigen Schritte auf einen Blick.
Katrin Terwiel ist Wirtschaftspsychologin und Psychotherapeutin und berät Unternehmen in den Themenfeldern Gesundheit, Diversität und Vitalität. Zudem ist sie Leiterin des betrieblichen Gesundheitsmanagements und des AGG-Teams bei der Zalando SE. Zu ihren Themen schreibt sie einen Blog und posted auf LinkedIn.
Was bedeutet New Work aktuell für Dich?
New Work ist ein großer Begriff. Ich persönlich verstehe unter New Work eine Arbeit, die zu meinen Stärken passt. Das heißt, meine Arbeit gibt mir den Raum und die Flexibilität, sie mit meinen persönlichen Bedürfnissen und meinem individuellen Lebensmodell zu vereinen. In dem Sinne hat New Work auch viel mit Diversity und Inklusion zutun. Kann ich als Arbeitnehmende nachmittags meine Kinder betreuen und abends meine Arbeit erledigen? Welche Möglichkeiten habe ich, wenn ich absolut kein*e Frühaufsteher*in bin? Und welche Möglichkeiten gibt es, wenn ich mir etwa als Rollstuhlfahrer*in einen passenden Arbeitsalltag gestalten möchte? New Work gibt mir die Möglichkeit, meine Arbeit zu einem gewissen Grad selbst zu gestalten. Für mich ist das die Voraussetzung, um mit meiner Arbeit auch wirklich in einen Flow kommen zu können.
Wie passen New Work und Gesundheit zusammen?
Mit New Work wird unsere Arbeit formbarer und fügt sich in unser Leben ein. Im Idealfall finden wir mehr zu uns selber und unsere Leistungsfähigkeit kommt von ganz allein aus uns heraus. Wir müssen nicht wie eine Zitrone ausgequetscht werden. Besonders in einem arbeitspsychologischen Kontext spielt das eine entscheidende Rolle: Wie sehr können wir beeinflussen, wie wir unseren Arbeitstag verbringen? Sehen wir einen Zweck in unserer Arbeit? All das sind Fragen, die nicht nur über unsere Motivation, sondern auch über mentale und physische Gesundheit am Arbeitsplatz entscheiden können. New Work hat aus meiner Sicht viele Aspekte der Arbeitspsychologie aufgegriffen und ihnen neuen Glanz verliehen. Begrifflichkeiten des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) sind leider sehr verstaubt, durch die New Work Bewegung sehen wir aber, dass sie aktueller und wichtiger denn je sind.
Was genau bedeutet denn Gesundheit am Arbeitsplatz?
Wenn wir über Gesundheit am Arbeitsplatz sprechen, geht es im Grunde um unsere Arbeitsfähigkeit. Hier unterscheiden wir nicht einfach in gesund und krank (oder an- und abwesend), es geht um viel mehr. Letztlich geht es bei der Arbeitsfähigkeit darum, inwiefern ich meine Fähigkeiten und Stärken voll ausleben kann, was mich dazu befähigt oder dabei behindert und wie ich mich am Arbeitsplatz fühle. Deshalb spielen Faktoren, wie die Arbeitsumgebung und -ausstattung genauso eine Rolle, wie die Arbeitskultur, Führung und Zusammenarbeit.
Was sind aus Deiner Sicht die größten Hebel, um das Thema Gesundheit in Unternehmen unter die Lupe zu nehmen?
Wenn wir über sichtbare oder physische Unfallgefahren sprechen, ist es oft wahnsinnig eindeutig, was zu tun ist. Bei der Psyche scheinen wir die Schuld jedoch immer beim Einzelnen zu suchen. Ein Beispiel: Wenn in einem Betrieb ein Loch im Boden ist, wäre klar, dass wir es schließen und bis dahin abriegeln. Wir würden nicht auf die Idee kommen, als erstes alle Mitarbeitenden zu trainieren, wie sie um das Loch herumlaufen sollen. Wieso gehen wir das nicht ähnlich an, wenn Mitarbeitende über die Email-Flut und Meeting-Marathons klagen? Oft sollen sie einfach ihr Zeitmanagement oder ihre Resilienz trainieren. Richtig angegangen, braucht es im ersten Schritt eine Gefährdungsbeurteilung, um mögliche Belastungsfaktoren zu evaluieren.
Und wie wird hier grob vorgegangen?
Insbesondere wenn die Arbeit nicht körperlich, sondern kopflastig ist, haben wir es mit psychologischen Gefahren zutun, die nicht so schnell zu entdecken sind. Aber auch hier muss sich ein Unternehmen fragen, wo im übertragenen Sinne die “Stolperfallen” und “spitzen Kanten” sind, die eine mentale Belastung darstellen können. Wichtig ist also nicht nur Verhaltensprävention (gesundes Verhalten) sondern vor allem auch Verhältnisprävention (schützende Rahmenbedingungen) zu betreiben. Sind Belastungen identifiziert, gilt es diese nach der TOP-Regel bestenfalls zu eliminieren oder wenigstens zu mindern:
(T) Welche technischen Maßnahmen können Gefahrenpotenzial beseitigen bzw. lindern?
(O) Welche organisatorischen Maßnahmen können weitere Belastungen beseitigen bzw. senken?
(P) Welche personellen Maßnahmen schaffen weitere Abhilfe?
Mittlerweile helfen hochmoderne Software-Lösungen dabei, mittels validierter Befragungen Belastungen sichtbar zu machen, Prioritäten zu benennen und Maßnahmen zu empfehlen.
Was können Unternehmen also tun, um im Sinne von New Work die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden zu fördern?
Bei New Work stehen Aspekte wie Selbstbestimmung und Autonomie im Mittelpunkt. Auch im Gesundheitsmanagement ist es so, dass Unternehmen ihren Mitarbeitenden meistens nicht einfach vorschreiben können und sollten, was sie zu tun oder zu lassen haben, um ihre Gesundheit zu schützen. Letztlich liegt es in der Hand des einzelnen Menschen. Außnahmen sind natürlich sogenannte Unterweisungen z.B. wie eine Maschine zu bedienen ist. Ob sich aber jemand zuckerarm ernährt oder joggen geht, ist Gott sei Dank nicht durch Unternehmen diktierbar.
Was Unternehmen aber sehr wohl tun können, ist Rahmenbedingungen zu schaffen, die es dem Einzelnen leichter machen, gesunde Entscheidungen zu treffen. Sei es durch eine simple Subventionierung von gesundem Essen in der Kantine, oder eine Büroeinrichtung, die zu Bewegung in den Pausen motiviert. Manager können durch z.B. transparente Leistungsbeurteilungstools unterstützt werden, fair zu führen. Sich gerecht behandelt zu fühlen, ist ein sehr wichtiger Gesundheitsfaktor.
Welche Rolle spielt Purpose für Dich in diesem Zusammenhang?
Den Sinn und Zweck in der eigenen Arbeit zu sehen, ist auf jeden Fall ein großer Motivator und Gesundheitsfaktor für viele Arbeitnehmende. Und doch darf nicht vernachlässigt werden, dass der größte Purpose wenig Wert ist, wenn die Rahmenbedingungen wie Führung, Teamkultur, Arbeitsumfeld und auch die Wertschätzung (monetär und interpersonell) nicht stimmen. Für mich gehört es jedoch zu einem wichtigen Führungsinstrument, dem Team und den Mitarbeitenden Raum zu geben, um sich mit purpose auseinander zu setzen. Ich halte wenig von diktiertem Purpose. In gut moderierten Workshops können sich Teams darüber austauschen, was für sie persönlich, den Bereich und das Unternehmen Bedeutung hat. Als Führungskraft kann ich diese Inseln zum Austausch schaffen, muss jedoch auch einordnen, was sich im Unternehmenskontext umsetzen lässt. Natürlich hilft es, wenn Unternehmen ihre Strategie so kommunizieren, dass sie gut verständlich und am besten mitreißend ist. Es ist aber nicht zwingend nötig, dass das Firmenprodukt die Weltgesundheit retten, damit Mitarbeitende Purpose empfinden.
Siehst Du auch Gefahren und Risiken, die durch die New Work Bewegung entstehen können?
New Work Diskussionen fühlen sich hier und da noch etwas elitär an, denn nicht überall können sich Menschen fragen, woran sie heute arbeiten wollen und wie sie ihren Tag gestalten können.
Ich sehe außerdem die Gefahr, dass New Work zu einem neuen Selbstoptimierungs-Tool verkommt. Wir geben uns nicht zufrieden, wollen noch mehr aus uns herausholen und suchen daher nach dem nächsten Leistungshebel.
In der betrieblichen Gesundheitsforschung zeigt sich zum Beispiel neuerdings zunehmend ein Phänomen namens “interessierter Selbstgefährdung”. Das sollte nicht der Sinn und Zweck von New Work sein. Denn so schön die neue Flexibilität auch sein kann, die Risiken liegen auf der Hand. Wir sind always-on. Remote Work führt zu Entgrenzung und kann unter Umständen auch Vereinsamung verursachen. Für mich ist auch hier die Balance entscheidend und nicht in neue Extreme zu verfallen.
Wie können wir den Risiken aus deiner Sicht vorbeugen?
Das ist aus meiner Sicht weder gut vorherzusagen noch hinreichend erforscht. Daher wünsche ich mir, dass Unternehmen Gesundheit mitdenken und bestenfalls auch personell und finanziell die Wichtigkeit unterstreichen. Alles andere halte ich übrigens für ein betriebswirtschaftliches Risiko. Ganz persönlich würde ich mich vor allem über gemeinsames Lernen und Ausprobieren freuen. Gespräche wie diese hier, spannende Konferenzen und echter, ehrlicher Austausch. Daher bin ich auch ein LinkedIn-Fan geworden. Ich freue mich über Vernetzungen und Menschen, die mitdiskutieren und ihre Sorgen, Erfolge und Learnings teilen. Gerne kann man sich mit mir vernetzen oder einfach mitdiskutieren.
New Performance Journey
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Benjamin Rolff ist Gründer der New Performance Academy und begleitet Menschen und Teams auf dem Weg in eine gesunde, neue Arbeitswelt. In seinem New Performance Podcast interviewt Benjamin regelmäßig Expert:innen und Role Moduls, die ihre Arbeitswelt selbstbestimmt gestalten. Erfahre mehr über Benjamin .