New Work, sind wir schon da?
Die Arbeitswelt ist im Wandel. Die Art und Weise, wie wir arbeiten und zusammenarbeiten, hat sich in den vergangenen Monaten rasant verändert. Wo führen uns diese Entwicklungen hin? Und was braucht es nun in Teams und Unternehmen, um den Wandel und die steigende Komplexität zu managen? - Darüber habe ich mit Inga Höltmann, Expertin für Kulturwandel, New Work und Digital Leadership, gesprochen.
Das vergangene Jahr hat vieles auf die Probe gestellt. Was hat sich aus Deiner Sicht in Bezug auf die Zusammenarbeit in Teams und Unternehmen verändert?
In den letzten Monaten habe ich beobachten können, dass produktive Zusammenarbeit remote möglich ist. Das habe ich als sehr positiv empfunden! Wir haben auch gesehen, dass Remote Work von heute auf morgen umsetzbar ist. Und das zeigt: Wenn wir müssen, dann können wir! Und wir können, wenn wir wollen.
In Remote Work liegt ein großes Potenzial von Effizienz und Produktivität. Um daran zu kommen, braucht es aber eine bestimmte Form von Eigenorganisation, eine bestimmte Arbeitsweise. In dem Moment, in dem die äußere Struktur des Büros wegfällt, müssen sich die Mitarbeitenden diese Strukturen im Home-Office selber geben. Wir haben gesehen, dass genau das nicht einfach ist. Es ist ein Lernprozess. Und wenn ich auf meine Arbeit schaue - ich bin seit etwa zehn Jahren selbstständig und habe in unterschiedlichen Konstellationen gearbeitet - kann ich sagen, dass dieser Prozess auch nie aufhört. Fähigkeiten wie Selbstorganisation und die Achtung der Bedürfnisse anderer sind elementare Aspekte der Arbeit der Zukunft. Meine Hoffnung ist, dass wir das in die Zeit nach Corona mitnehmen. Diese Fähigkeiten werden wir in der Arbeitswelt der Zukunft brauchen.
Was sind Faktoren, die in der aktuellen Zeit erfolgreiche Teams von weniger erfolgreichen Teams unterschieden?
Digitalisierung ist ein Kommunikationsprozess! Für mich ist es besonders wichtig zu verstehen, dass ein funktionierendes Home-Office und ein funktionierendes Remote-Team durch eine gemeinsame Kommunikationsanstrengung entstehen. Wir sollten es als Teil unserer Arbeit verstehen, an unserer Zusammenarbeit zu arbeiten. Nicht nur unsere Arbeit zu verrichten, sondern auch bewusst in diese Metakommunikation zu gehen und zu gucken, was zum Beispiel diese Woche gut funktioniert hat und an welcher Stelle Prozesse optimiert werden können. Oft sind wir so sehr vom Tagesgeschäft absorbiert, dass wir es versäumen bewusst Räume zu schaffen, um in die Vergangenheit und in die Zukunft zu schauen. Und ich sehe es auch als enorm wichtig an, darüber zu sprechen, wie wir die aktuellen Umstände empfinden.
Was würdest Du einer Führungsperson auf den Weg geben, die diese Aspekte für das Team wahrnehmen möchte?
Im vergangenen Jahr haben wir gesehen, dass wir ein neues Verständnis von Führung brauchen. Wir haben ein Gefühl dafür bekommen, wie dieses andere Verständnis aussehen kann. Viele Führungsaufgaben schienen lange Zeit damit verknüpft, physisch in einem Raum zu sein. Da geht es dann zum Beispiel um die Ausübung von Kontrolle, dass man sich sieht und sieht, was die Mitarbeitenden tun. In der Remote Arbeit steckt eine Chance, sich als Team zu entwickeln und eine neue Art von Führungsverständnis zu etablieren und dieses zu reflektieren. Was ist die Rolle einer Führungskraft, wenn sie den anderen nicht mehr über die Schulter schauen kann? Diese Fragestellung würde ich mit dem Team bearbeiten. Und ganz konkret fragen: Was brauchst Du von mir?
Neue Team-Routinen geben einem Team neue Struktur. Zum Beispiel jeden Freitag eine Retro mit dem Team machen. Oder gemeinsam in den Tag zu starten, als Ritual. Man kann auch eine virtuelle offene Tür etablieren oder konstant in einem virtuellen Raum miteinander arbeiten, um eine Art Teamgefühl herzustellen. Dabei spielt das Format ebenfalls eine Rolle: Video, Chat oder Telefon. Das kann man alles ausprobieren.
Könnte jede Führungskraft diesen Schritt machen und damit auf das Team zu gehen? Oder sollte das Team eher begleitet werden?
Beide Optionen sind möglich und legitim. Viele Teams verfügen sowieso schon über die Reflexionsfähigkeit dafür. Und es ist dann unsere Aufgabe, die Räume dafür zu schaffen, denn die Fähigkeit, das zu nutzen, ist oft verschüttet im Alltagsgeschäft. Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Bedingungen sind eine gute Gelegenheit das zuzulassen. Genauso wertvoll ist es, sich jemanden von außen dazuzuholen, der*die reflektiert und spiegelt. Wir tun Dinge meistens so, wie wir es gewohnt sind. Darum ist es gut, wenn jemand von außen Störimpulse setzt. Nicht immer sind wir selber in der Lage, uns diese Störimpulse gegenseitig zu geben - das hat etwas mit Augenhöhe, Mut und einer gewissen organisationalen Reife zu tun.
Steckt dahinter aus Deiner Sicht bereits New Work? Wie ordnest Du diese Aspekte in den Wandel unserer Arbeitswelt ein?
Das herausfordernde an New Work ist, dass das ein Oberbegriff ist, der für viele Dinge steht, die darunter gefasst werden können: Wir haben eine ganze Spannbreite an Formaten, Methoden und Werten, die wir darunter passen. Die Verwirrung entsteht, wenn diese nicht klar sind.
Der ursprüngliche Begriff von New Work, geprägt von Frithjof Bergmann, bedeutet eine gesellschaftliche Utopie. Es geht darum, wie wir leben und arbeiten wollen und wie Arbeit in unser Leben passt. Heute nehmen wir New Work dagegen oft als Werkzeugkasten wahr, aus dem wir einzelne Methoden herausgreifen. Das greift aber etwas kurz, denn Neue Arbeit ist auch viel Wertearbeit und Arbeit an der Haltung. Natürlich kann man mit einer Methode beginnen, um zu verstehen, wie es sich anfühlt so zu arbeiten. Aber das wird uns nicht aus der Wertearbeit entlassen.
Jetzt ist eine gute Zeit, um herauszufinden, welche Methoden sich zum Beispiel eignen, um das Home-Office und die remote Teamarbeit zu organisieren. Aber nur, weil viele Mitarbeitende im Home-Office sitzen, heißt das noch lange nicht, dass das dann schon New Work ist. Dabei geht es eben auch darum, zu gucken, mit welchen Werten man sich begegnet und wie konkret die Führungsarbeit ausgestaltet wird. Wenn die Kontrolle im Büro nämlich ins Home-Office übertragen wird, handelt es sich dabei meiner Meinung nach keineswegs um New Work. Neue Arbeit ist auch die Auseinandersetzung damit, was gut funktioniert und womit langfristig gearbeitet werden soll. Was wird dafür an technologischer Ausstattung gebraucht und welche Tools werden dafür benötigt? Das ist ein Unterschied, den ich gerne machen würde: Technische Ausstattung und einzelne Tools sind die Grundlage. Im besten Fall sind sie aber vor allem der Anlass, um zu gucken, welche Werte die Zusammenarbeit leiten.
Das klingt so, als gäbe es für New Work nicht den einen “Blueprint”?
Es muss nicht jedes Team und Unternehmen in soziokratischer Struktur oder selbstorganisiert arbeiten. Das ist nicht das Ziel. Das Ziel sollte sein, sich klar zu machen, was das Produkt und der Purpose ist: Was wollen wir in der Welt damit machen? Was fühlt sich richtig an und was passt zu unseren Werten?
Ich habe zum Beispiel Einblick in ein Unternehmen, das sich in Richtung Agilität bewegt hat, weil sie gemerkt haben, dass das ihnen guttut. Die Art, wie sie heute arbeiten, bezeichnen sie als teil-agil. Das ist eine bewusste Gestaltungsentscheidung. In manchen Bereichen sind sie agil, in anderen Bereichen sind sie noch nicht so weit oder wollen dort auch nicht hin. Neue Arbeit ist kein Rezept, das von vorne bis hinten durchgearbeitet werden kann und dann ist es New Work. Der Kern von New Work, weshalb es mehr als eine Management-Theorie ist, ist die eingebaute Reflexion. Zurückzuschauen und mich zu fragen: Passt es zu mir, zu meiner Wahrnehmung, zu meiner Weltanschauung? Das ist eine tiefgreifende Veränderung und wir werden sehen, dass es auch Menschen geben wird, die nicht mitgehen. Auch Führungskräfte können für sich merken, dass sie so nicht arbeiten wollen. Das ist etwas, das wir verstehen sollten. Bei New Work geht es nicht darum, dass sich alle lieb haben.
Wie sieht Deine Utopie der Arbeitswelt aus, wenn Du fünf bis zehn Jahre in die Zukunft blickst?
Uns wird eine gewisse räumliche Flexibilität erhalten bleiben. Dass so viele Menschen wie jetzt im Home-Office sind, wird sich wieder verändern, manche werden auch zurück ins Büro wollen. Doch viele werden auch nach Corona im Home-Office bleiben und remote arbeiten und ich hoffe, dass die Menschen sich das nicht nehmen lassen. Das Büro als Raum wird sich verändern, wenn wir erkennen, welche Aufgaben dort erledigt werden können: Konzentrierte Arbeit kann ich persönlich am besten Zuhause erledigen, das Büro hingegen eignet sich vielleicht besser für Teambuilding und kreative Arbeit oder für Konfliktlösung. Ich wünsche mir, dass nach Corona dahingehend Reflexionsprozesse stattfinden und wir gucken, welche Aufgaben ein Büro erfüllen kann und wie es dafür gestaltet sein muss. Und ich hoffe, dass uns die Freiheit der Selbstorganisation bleibt und wir uns eine größere Flexibilität erhalten.
Welche Frage müssen Unternehmen in diesem Kontext für sich beantworten?
Wir sehen eine zunehmende Komplexität. Die Frage ist, wie Organisationen durch diese Komplexität navigieren. Eine meiner Arbeitsthesen ist: Um einer äußeren Komplexität zu begegnen, sollten wir am besten die innere Komplexität erhöhen. Innere Komplexität heißt nicht Chaos, sondern Vielfalt. Vielfalt in unterschiedlichen Bereichen, wie zum Beispiel die Flexibilisierung von Arbeitszeiten und -orten. Ich würde Unternehmen gerne die Frage mitgeben: Was tut ihr für mehr Komplexität in eurer Organisation?
Inga Höltmann ist Expertin für die Themen Kulturwandel in Unternehmen, New Work und Digital Leadership. Sie ist Gründerin der Accelerate Academy (https://www.accelerate-academy.de/) und Macherin des New Work Briefings (Probemonat hier: https://www.accelerate-academy.de/new-work-briefing/), sie tritt als Keynote-Speakerin auf und arbeitet im Rahmen von Workshops in Unternehmen zu Themen rund um Neue Arbeit. Sie ist zudem ausgebildete Wirtschaftsjournalistin, bekannt ist sie unter anderem für ihre beiden Podcasts zur Zukunft der Arbeit. Kontakt hier: https://www.linkedin.com/in/ingahoeltmann/